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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Wenn Gott zur Frage wird

Spurensuche BETEN – Geistliche Impulse von Michael Kapeller über bedeutende Männer und Frauen des 20. Jahrhunderts

Tabernakel, Michaelskapelle in Seggauberg (© Foto: Michael Kapeller)
Tabernakel, Michaelskapelle in Seggauberg (© Foto: Michael Kapeller)

Diese Begegnung konnte Walter Dirks zeitlebens nicht vergessen. Im Herbst 1968 suchte er seinen ehemaligen Lehrer, Romano Guardini, in dessen Münchener Wohnung auf. Der bereits Dreiundachzigjährige war durch ein Nervenleiden geschwächt. Am Krankenlager vertraute Guardini seinem Freund eine Frage an, die zu einem Vermächtnis werden sollte: Er werde sich im letzten Gericht nicht nur fragen lassen, sondern er werde auch selbst fragen. Dabei hoffe er voll Zuversicht, dass ihm dann der Engel die Antwort auf diese Frage geben werde, die ihm kein Buch, auch die Schrift nicht, kein Dogma, kein Lehramt, keine Theologie – auch die eigene nicht – hat geben können:

Warum, Gott, zum Heil die fürchterlichen Umwege, das Leid der Unschuldigen, die Schuld?

Wenig später, am 1. Oktober, starb Romano Guardini. Über seinem Grab befindet sich die von ihm verfasste Inschrift: "Romano Guardini (1885-1968). Im Glauben an Jesus Christus und seine Kirche, im Vertrauen auf sein gnädiges Gericht." 
Die Frage nach dem Leid und nach Gott im Leid bleibt – ebenso die Zuversicht auf die Antwort durch den Engel.

Sehnsucht nach dem Norden

Das Leben Romano Guardinis war eingespannt zwischen seiner italienischen Herkunft und seinem Wirken in Deutschland. Geboren wurde er 1885 als ältester von vier Söhnen eines erfolgreichen Importkaufmanns in Verona. Bereits 1886 übersiedelte die Familie berufsbedingt nach Mainz und kehrte erst 1919 – nach dem Tod des Vaters – nach Italien zurück. Romano selbst blieb in Deutschland, hielt sich später jedoch regelmäßig bei seiner Familie in Isola Vecentina auf. Nach seiner Gymnasialzeit versuchte sich Guardini als Student in Chemie und Staatswissenschaften. Beide Versuche endeten in einem Fiasko und stürzten den jungen Romano in eine schwere Lebens- und Glaubenskrise. Aus dieser Krise ging er jedoch gestärkt hervor; mit dem Entschluss Theologie zu studieren und Priester zu werden. Nach seiner Priesterweihe am 28. Mai 1910 im Mainzer Dom wirkte er zuerst als Kaplan und nach seiner Habilitation 1922 in Bonn als Universitätslehrer zuerst in Berlin, dann in Tübingen und schließlich in München. Dabei übernahm er nicht einen bestehenden Lehrstuhl, sondern begründete an den drei Universitäten den Fachbereich „Katholische Religionsphilosophie und Weltanschauung“. Als Theologe stellte er sich den Polaritäten des Lebens und Denkens und machte diese fruchtbar. Nicht selten war er mit seinen Überlegungen seiner Zeit einen Schritt voraus. Er überschritt vorgegebene Grenzen und führte seine Zuhörer/innen und Leser/innen in bislang ungeahnte Weiten und Tiefen.

Der Gegenwert des Lichts

Trotz des Zuspruchs den Guardini bei seinen Vorlesungen, Predigten und in der Öffentlichkeit erfuhr, blieb er als Mensch zurückhaltend, ja schüchtern. Immer wieder überfiel ihn eine Schwermut, die ihm selbst seinen Gottesglauben verdunkelte. Sein Gebet war oftmals ein Ringen gegen die Verzweiflung. Er rückte jedoch nicht ab. Selbst das Abgründige seiner Schwermut vermochte er noch denkend und betend Gott hinzuhalten. Dabei erfuhr er: Das Dunkel ist nicht der Feind es Lichtes, sondern sein Gegenwert. Es kündigt das Licht an und lässt es noch viel heller erstrahlen. Diesem Licht, Gott, vertraute er alles an – selbst noch seine letzte offene Frage.

Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand.
So ist es und so soll es sein.
Das ist meine Wahrheit und meine Freude.
Immerfort blickt Dein Auge mich an,
und ich lebe aus Deinem Blick,
Du mein Schöpfer und mein Heil.