Organisation

Institut für kirchliche Ämter und Dienste

gehalten

Theologische Fragmente in Zeiten von Krisen 4/4

gehalten (Uschi_Du/Pixaby.com_pfarrbriefservice.de)
gehalten (Uschi_Du/Pixaby.com_pfarrbriefservice.de)

Pandemie, Ukraine-Krieg, Überflutungen, Waldbrände, Teuerung, Hunger-, Flüchtlings- und Energiekrise wechseln sich ab und überlagern einander. Was gibt Halt in diesen schwierigen Zeiten? Und wie können wir einander Halt geben? Diesen Fragen geht der Theologe Michael Kapeller in einer Kurzserie von vier „Theologischen Fragmenten in Zeiten von Krisen“ nach.
Den vierten Beitrag „gehalten“ lesen Sie hier:

Der rettende Faden

Jedes Jahr dasselbe Spiel. Wieder werden sieben athenische Jünglinge und Jungfrauen ausgewählt und nach Kreta geschickt. Während die jungen Männer zu Kampfspielen dienen, werden die Jungfrauen dem Minotaurus, einem Unwesen mit einem menschlichen Körper und einem Stierkopf, als Menschenopfer dargebracht. Strafe muss sein. Die Athener sühnen für die Ermordung des Sohnes von König Minos. Einer aber spielt nicht mit – Theseus, der athenische Königssohn. Er stellt sich selbst als Opfer zur Verfügung und setzt mit den anderen nach Kreta über. Noch jemand durchbricht die Logik von Rache und Sühne, Ariadne. Die Tochter von König Minos vermag Theseus nicht zu hassen, vielmehr verliebt sie sich in ihn und er sich in sie. Das grausame Opfern muss ein Ende haben. Theseus ist dazu bereit und wohl auch in der Lage. Er wird gegen Minotaurus kämpfen. Doch damit ist noch nichts gewonnen. Das Ungeheuer befindet sich in einem Labyrinth gefangen. Niemand kennt den Rückweg. Wer nicht von Minotaurus getötet wird, findet in den Irrwegen des Labyrinths seinen Tod. Nicht so Theseus. Denn Ariadne gibt ihrem Theseus ein Wollknäul mit auf den Weg. Dieser befestigt das Ende am Eingang des Labyrinths. Theseus erschlägt den Minotaurus und kehrt mit Hilfe von Ariadnes Faden wohlbehalten zu seiner Geliebten zurück.

Daniels Rettung

Auch das biblische Buch Daniel berichtet von einer Auseinandersetzung mit wilden Tieren. Doch der Reihe nach. Der König von Babel erobert Jerusalem und deportiert die Oberschichte. Darunter befindet sich auch Daniel, ein Königssohn. Daniel zeichnet sich durch einen außergewöhnlichen Geist und die Fähigkeit aus, Träume und Visionen zu deuten. Mit diesen Eigenschaften gewinnt er die Gunst der Könige, zieht aber auch den Neid der Hofbeamten auf sich. Diese möchten Daniel aus dem Weg schaffen. Das ist nicht einfach, denn Daniel ist zuverlässig und rechtschaffen. Doch wer lange genug sucht, findet auch eine „Schwachstelle“. Bei Daniel ist das sein Glaube an den Gott seiner Väter. Dreimal am Tag kniet er sich bei offenem Fenster hin und richtet sein Gebet an Gott. Das wird ihm zum Verhängnis. Denn die Beamten haben von König Darius ein Dekret erwirkt, dass Bitten nur an den König gerichtet werden dürfen. Wer dem zuwider handelt, landet in der Löwengrube. Nun ist es ein Leichtes, Daniel zu überführen. Der König aber schätzt Daniel, kann jedoch nun nichts mehr für ihn tun. So wird Daniel in die Löwengrube geworfen. Dort bleibt es überraschend ruhig. Es kommt zu keinem Kampf. Gott lässt Daniel nicht im Stich. Er schickt ihm einen Engel, der den Löwen den Rachen verbindet und Daniel so das Leben rettet.

Gehalten

Was kann uns in Zeiten des Ukraine-Krieges und diverser Krisen die Rettung des Daniel sagen? Offenkundig ist, Gott greift nicht so ein wie viele Menschen sich das heute wünschen würden. Was dürfen wir aber von ihm erwarten und warum sollten wir uns dennoch an ihn wenden? Dieser Frage ist der Jesuit Michel de Certeau bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts nachgegangen. Für ihn lässt sich Gott nicht beweisen und „dingfest“ machen. Gott ist größer und anders. Halt im Glauben kann erfahren, wer sich auf die Begegnung mit Gott einlässt. Doch auch darin bleibt de Certeau suchend, tastend. So lautet sein persönliches Glaubensbekenntnis:

„Nicht ohne Dich.“

Bei dieser inneren Wahrnehmung, die auch einen Wunsch und ein Vorhaben enthält, handelt es sich nicht um einen Ariadne-Faden, an dem ich mich nur festhalten brauche, um den Weg durch die Irrgänge des Lebens zu finden. Eher ist es wohl wie das Vertrauen des Daniel, der auch in auswegloser Situation alles auf Gott setzt und sich ihm anvertraut. Für Michel de Certeau schließt dieses Vertrauen in Gott auch Gott ein, der uns im Anderen begegnet. Diese Erfahrung, weil Du da bist, gehe ich meinen Lebensweg nicht ohne Dich, kann Halt geben und tragen.