Organisation

Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Ein „Buona sera“ als Aufbruch in der Kirche

Eine theologische Würdigung von Papst Franziskus

Papst Franziskus 17.12.1936-21.04.2025 (Foto: Friedbert Simon - pfarrbriefservice.de)
Papst Franziskus 17.12.1936-21.04.2025 (Foto: Friedbert Simon - pfarrbriefservice.de)

Ich habe Papst Franziskus, dessen Wirken ich intensiv mitverfolgt habe, nur einmal getroffen. Genauer gesagt habe ich ihn bei einem sonntäglichen Angelusgebet im Sommer 2019 auf der Loggia des Petersdomes aus der Ferne gesehen. Die Umstände entbehren für mich aber nicht einer gewissen Symbolik. Das Angelusgebet konnte nämlich erst mit 20 minütiger Verspätung beginnen. Der Grund lag darin, dass der Lift steckengeblieben war und der Papst erst durch die Feuerwehr aus seiner misslichen Lage befreit werden musste. So habe ich Papst Franziskus in den letzten 13 Jahren immer wieder erlebt. Er wusste zu überraschen und wählte in der strikten Ausrichtung auf den Willen Jesu auch neue Wege. Dabei konnten „technische“ Probleme nicht ausbleiben. Immer wieder stieß sein Weg auf Widerstand und es schien so, dass seine Reformanliegen im wahrsten Sinne des Wortes steckenbleiben. Er ließ sich davon jedoch nicht beirren. So war es auch an jenem heißen Augustsonntag in Rom. Schließlich erschien er dann doch mit einem verschmitzten Lächeln auf der Loggia, bedankte sich bei der vatikanischen Feuerwehr für die Hilfe, verlas seine Botschaft und lud zum Gebet ein.

Ein neuer Zugang

In den ersten Jahren seines Pontifikates und teils noch bis zum Tod von Papst Benedikt am 31. Dezember 2022 wurde immer wieder die Frage verhandelt: Verkörpern die beiden Päpste nur unterschliedliche Zugänge in der Verkündigung des Evangeliums oder unterscheiden sie sich auch theologisch voneinander? Lotete Papst Benedikt das Mysterium Christi in theologischen Meditationen aus, so war für Papst Franziskus der zentrale Ort der Begegnung mit Christus der Mensch, besonders der Arme und an den Rand-gedrängte. In seiner Antrittsenzyklika „Evangelii gaudium“ (= Die Freude des Evangeliums) hat er diesen Ansatz entfaltet und der Kirche als Weg vorgegeben. Eindringlich und bildgewaltig beschreibt er die Kirche als ein Feldlazarett, das für alle Menschen heilend wirken sollte. Einer verbeulten Kirche an der Seite der Menschen, so der Papst weiter, sei der Vorzug zu geben vor einer perfekten Kirche, die sich selbst genügt.

Klerikalismus beenden

In Ansprachen, Predigten und Lehrschreiben verurteilt Papst Franziskus häufig den Klerikalismus. Für ihn war dies eine Zerrform von Kirche, die nicht dem Auftrag des auferstandenen Christus entsprach, zu allen Menschen zu gehen und ihnen die Frohbotschaft zu verkünden. Klerikalismus führe, so der Papst, zu Standesdünkel, dem Bewusstsein einer Überlegenheit und zu Gönnerhaftigkeit. Dagegen kämpfte Papst Franziskus unermüdlich an – nicht nur bei Priestern, sondern auch bei Ordens- und Laienchristen. Vielmehr wünschte er sich von kirchlichen Mitarbeiter/innen, dass sie den Stallgeruch der Menschen annehmen und dass jeder von ihnen zumindest einen Armen seinen Freund nennt.

Sorge um das gemeinsame Haus

Eine Kirche an der Seite der Menschen kann sich nicht gegen die Schöpfung stellen. So hat sich Papst Franziskus mit der Enzyklika „Laudato si´“ (= Gelobt seist du) aktiv in die Debatte um die Klimakrise eingebracht. Dabei vertrat er immer wieder folgende zwei Anliegen: die Schöpfung bildet kein Gegenüber zum Menschen, sondern ist der einzige Lebensraum, der ihm zur Verfügung steht. Dies hat er mit der Wendung die Schöpfung als „unser gemeinsames Haus“ ins Wort gebracht. Jede und jeder Einzelne trage Verantwortung dafür, dass dieses Haus nicht Schaden nimmt. Papst Franziskus hat zudem auf einen zweiten Umstand aufmerksam gemacht: die Klimakrise und Armut hängen ursächlich miteinander zusammen. So rauben die zunehmende Erderwärmung und die klimabedingte Zunahme an Überflutungen die Lebensgrundlage vieler Menschen. Die Folge davon sind menschliches Leid, Armut und Migrationsbewegungen.

Die Würde der Getauften

Papst Franziskus war der erste Papst, der nicht am 2. Vatikanischen Konzil teilgenommen hat. Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen, hat er Dimensionen des Konzils, die bislang noch nicht völlig umgesetzt worden waren, zur Entfaltung gebracht. Besonders wichtig war ihm der Grundsatz aus der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ (= Licht der Völker), dass die Gesamtheit der Glaubenden in Fragen des Glaubens und der Sitten nicht irren kann. Dieses Prinzip bildete für ihn die Grundlage bei den Bischofssynoden. So sollten die Ortskirchen nicht mehr nur durch die Bischöfe repräsentiert werden, sondern sich alle Glaubenden aktiv einbringen können. Dieses Anliegen nahm seinen Anfang mit Fragebögen bei den ersten Bischofssynoden und mündete schließlich in die breite Einbeziehung des Volkes Gottes in den synodalen Prozess, der im Oktober 2024 seinen vorläufigen Abschluss gefunden hat.

Synodalität als zentrales Prinzip

Synodalität, verstanden als gemeinsames Unterwegssein im Glauben, war für Papst Franziskus der theologische Leitbegriff der letzten Jahre seines Pontifikates. Ja, mehr noch. Für den Papst war Synodalität ein anderes Wort für Kirche. Dabei geht es vor allem um das Aufeinander-Hören und das Wahrnehmen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Zentral ist aber das Vertrauen, dass der Heilige Geist in allen Beteiligten wirkt und dass sich alle auf Christus hin ausrichten und sich in ihren Überlegungen und Entscheidungen von der Frage leiten lassen, was mehr der Botschaft Christi entspricht. Eine Gemeinschaft, die sich darauf einlässt, entwickelt, so ist der Papst überzeugt, eine neue Form des Miteinanders und vermag Pluralität besser fruchtbar zu machen. Diesen besonderen Zugang soll die Kirche in die Gesellschaft einbringen und dazu beitragen, dass Gemeinsame vor das Trennende zu stellen.

Hoffnung auf Frieden

Papst Franziskus setzte Zeichen und Gesten mit oft großer politischer Wirkung. So führte ihn seine erste Inlandsreise als Papst nach Lampedusa. Als jemand, der einer Migrantenfamilie entstammte, waren ihm Geflüchtete ein großes Anliegen. Eindringlich mahnte er Verständnis, offene Arme und tatkräftige Hilfe für Menschen ein, die aufgrund politischer oder wirtschaftlicher Not ihre Heimat verlassen mussten. Mit einem Umstand konnte und wollte sich der Papst nie abfinden: dem Krieg. Unaufhörlich forderte er von Machthabern ein, dem Krieg und dem Töten von Menschen ein Ende zu bereiten. Ziel könne es nicht sein, so der Papst, durch noch mehr Waffen abschreckend zu wirken. Vielmehr forderte er nachdrücklich ein, die Ausgaben für die Waffenproduktion zur Bekämpfung des Hungers zu verwenden. Die Menschheit dürfe sich nicht abfinden mit dem Leid, mit der Not und mit der Ungerechtigkeit auf dieser Welt.

Dialog mit den Religionen

Bereits als Kardinal von Bones Aires pflegte Mario Bergoglio intensiven Austausch mit anderen christlichen Konfessionen und Religionsgemeinschaften. Diese ökumenische und interreligiöse Offenheit prägte auch sein Pontifikat. Er war davon überzeugt, dass die Kirchen und Religionsgemeinschaften gemeinsam Entscheidendes für ein friedliches Miteinander, die Bekämpfung von Armut und Unterdrückung und eine ökologische Wende beitragen können. Im Bereich der Ökumene war ihm dabei ein besonderes Anliegen, dass alle christlichen Kirchen an einem Termin Ostern feiern. Darin sah er ein Zeichen der Hoffnung, dass das Leben stärker ist als der Tod. Sein Tod zu Ostern 2025, einem Jahr, an dem wieder einmal alle Kirchen am selben Tag Ostern feiern, kann dieses Anliegen verstärken.

Vorbild der Bescheidenheit

In diversen Kommentaren wird nun darüber berichtet, was von diesem Pontifikat bleiben wird. In diesem Beitrag habe auch ich einige Wegmarken benannt, die mir besonders wichtig erscheinen. Den stärksten Eindruck hat dieser Papst aber auf mich durch seine menschlichen Gesten gemacht. Denn die Wahl seines Namens, seine Entscheidung, nicht in die päpstlichen Gemächer zu ziehen, sondern im Gästehaus Santa Marta zu wohnen, seine spontane Zuwendung zu Menschen (in Briefen, am Telefon oder im Fernsehen) und seine Offenheit, über eigene Schwächen und Grenzen zu sprechen, machten deutlich – dieser Papst verkörpert nicht zuerst ein Amt, sondern lebt als Mensch an der Seite der Menschen. Dies führte auch zu Irritationen, weil er immer wieder den Vorgaben, wie ein Papst zu sein hat, nicht entsprach. Weit öfter aber wurde deutlich: dies ist ein Papst, der Menschen versteht, ihre Nähe sucht und ihnen darin die Liebe und Zärtlichkeit Gottes vermittelt. Diese große Menschlichkeit hat Papst Franziskus vom ersten Moment seines Pontifikates an gelebt, als er unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst die wartende Menge am Petersplatz mit einem schlichten "Buona sera" begrüßte und sie bat, für ihn zu beten und ihn zu segnen. Damit hat er die Kirche ermutigt sich als Dienerin der Menschen zu verstehen und sich offen den Herausforderungen der Zeit zu stellen.