Die Corona-Pandemie im Spiegel der Theologie
Die Krise - eine Strafe Gottes?
Beinahe zeitgleich mit dem Auftreten von Covid-19 in Europa wurde an die Theologie die Frage herangetragen bzw. äußerten sich Theolog/innen ungefragt darüber, was denn diese Krise mit Gott zu tun habe. Dabei reicht die Antwortpalette von „Corona ist eindeutig eine Strafe oder auch Plage Gottes“ über „mit diesem Virus möchte Gott die Menschheit aufrütteln und zur Umkehr bewegen“ bis zu „es ist zynisch gegenüber den Erkrankten von einer Strafe Gottes zu sprechen“. In diesen Chor werde ich nicht einstimmen. Vielmehr möchte ich mich zunächst den Fragen hinter dieser Frage widmen und dann am Ende dieses Beitrages die Fragerichtung etwas verändern.
Wann lässt sich über ein Ereignis ein Urteil fällen?
Ich vermute diese Frage kommt doch ziemlich unvermittelt daher und wirkt auf den ersten Blick wohl ein wenig gar zu theoretisch. Dennoch scheint sie mir wichtig zu sein. Die Antwort lautet: Ein Urteil über ein Ereignis ist dann möglich, wenn folgende zwei Kriterien erfüllt sind: Zunächst muss ein Ereignis klar abgegrenzt sein. Das heißt Anfang und Ende, Umfang und Ausmaß müssen feststehen. Und nun das zweite Kriterium: Derjenige, der ein Urteil über ein Ereignis fällt, darf nicht unmittelbar von diesem betroffen sein, sondern muss einen Standpunkt außerhalb davon einnehmen können. Wenn ich dies auf die Ausbreitung des Coronavirus anwende, ist deutlich, dass beide Kriterien, die für ein theologisches Urteil über diese Pandemie nötig sind, aktuell nicht erfüllt sind.
Wie handelt Gott?
Die Annahme, dass Gott in der Welt und am Menschen handelt ist für das konkrete christliche Leben unverzichtbar. Auf welche Art und Weise erfolgt dies nun aber? Hans Kessler nähert sich dieser Frage, indem er sich an der Bibel orientiert und dabei folgende Dimensionen göttlichen Handelns unterscheidet: Das Handeln als Schöpfer der Welt und Neuschöpfer durch die Auferweckung aus dem Tod, das begleitende Ermöglichen, dass sich die Schöpfung weiter entwickeln und entfalten kann, das Wirken im Menschen, das diesen zu mehr Freiheit und Eigenmächtigkeit führt und schließlich das zeichenhafte Handeln Gottes am Menschen, wenn dieser sich ihm in seiner Not anvertraut. All diesen Handlungsweisen Gottes ist gemeinsam, dass sie ganz grundsätzlich zum Wohl der Schöpfung und des Menschen erfolgen. Das wird später noch unmittelbar deutlich werden.
Wie lässt sich das Handeln Gottes erfahren?
Das Handeln Gottes lässt sich erfahren, wenn sich jemand der Möglichkeit öffnet, dass es Gott gibt und dass sein Wirken ganz grundsätzlich erfahrbar ist. Und selbst wenn ein Mensch dazu bereit ist, so Bernhard Körner, fällt es schwer eine wirkliche Gotteserfahrung von einer Täuschung zu unterscheiden. Und dies liegt nicht nur an der Wahrnehmungsfähigkeit des jeweiligen Menschen, sondern am Gottsein Gottes. Denn selbst, wo sich Gott offenbart, indem er sich dem Menschen mitteilt, erfolgt dies auf göttliche und nicht auf menschliche Weise. Darauf weist der Heilige Augustinus hin, wenn er eindringlich mahnt:
„Verstündest du ihn, es wäre nicht Gott“.
Dies gilt nicht nur für die Deutung eines Einwirkens Gottes in das Leben des Einzelnen, sondern wohl auch für ein Ereignis wie die Corona-Pandemie, die mittlerweile weite Teile der Welt betrifft.
Was hat es nun aber mit den biblischen Plagen auf sich?
Die ägyptischen Plagen aus dem alttestamentlichen Buch Exodus 7-13 bieten sich scheinbar ideal als biblische Folie zur Interpretation der gegenwärtigen Pandemie an. Denn damals wie heute handelt es sich um eine Katastrophe, die quasi über Nacht über Menschen hereinbricht. Die letzte der Plagen wird wie folgt beschrieben:
„Dann wird jeder Erstgeborene im Land Ägypten sterben, vom Erstgeborenen des Pharao, der auf dem Thron sitzt, bis zum Erstgeborenen der Magd an der Handmühle und alle Erstgeburt vom Vieh. Geschrei wird sich im ganzen Land Ägypten erheben, so groß, wie es keines je gegeben hat oder geben wird.“ (Ex 11,5-6)
Bei der Deutung dieser Erzählung gilt es, so Katrin Brockmöller, folgende drei Aspekte zu beachten: Im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Mose und dem Pharao steht nicht die Strafe Gottes, sondern die Verweigerung des Pharaos dem Volk die Freiheit zu schenken. Weiters ist wichtig, dass diese Erfahrungen niedergeschrieben wurden, nachdem das Volk Rettung erfahren hatte. Ihre vorrangige Intention ist, dem Volk Angst vor aktuellen und künftigen Gefahren zu nehmen. Denn wie Gott einmal wirkmächtig gehandelt hat, so wird er auch künftig seinem Volk helfen. Und schließlich dienen diese Texte dazu, die Wirkmacht des Gottes Israel gegenüber den Göttern Ägyptens zu betonen. Auf diesem Hintergrund lässt sich die Botschaft dieser Erzählung mit Katrin Brockmöller wie folgt zusammenfassen:
„Diese Texte wurden Elemente in einer Befreiungserzählung. Sie dienen quasi als Bühnenbild für eine theologische Botschaft. Und die heißt nicht: Gott straft, sondern: Gott rettet euch!“
Was hat die Corona-Pandemie mit Gott zu tun?
Gegen Ende dieses Beitrags möchte ich nochmals die einzelnen Fäden aufnehmen und auf die Frage eingehen, was die Corona-Pandemie mit Gott zu tun hat. Zunächst steht für mich fest: Da wir die gesamte Tragweite dieser Krise noch nicht überblicken können, lässt sich dies zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen. Und ich möchte ergänzen: Auch wenn wir eine Position einnehmen könnten, die es uns erlaubt, nach einem Zusammenhang zwischen Gott und der Krise zu suchen ist davon auszugehen, dass wir sein Wirken nur fragend und tastend erfassen könnten. Die Grundlage für das Verstehen dessen, wie Gott in dieser Welt wirkt, ist die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift. Es wurde jedoch deutlich, dass gerade Texte wie die ägyptischen Plagen, die sich besonders zur Interpretation der aktuellen Situation anzubieten scheinen, ausscheiden. An diesem Punkt möchte ich das Erwägen theologischer Fragen beenden und eine letzte Frage aufwerfen und mit ihr die Fragerichtung ändern.
Wo bist du Gott in dieser Krise?
Es ist diese Frage, die mich aktuell am meisten beschäftigt. Und sie beschäftigt mich nicht im Sinne einer neutralen und distanzierten Analyse, sondern einer Anfrage, ja Klage. Damit aber nicht genug. Hinter dieser Anfrage an Gott drängen weitere Fragen hervor: Wie ist es möglich, dass so viele Menschen von dieser Krankheit betroffen sind und daran sterben? Wie kann es sein, dass so viele Menschen an existentiellen Ängsten leiden und an wirtschaftlichen Nöten zerbrechen? Und für mich am bedrückendsten: Wie ist es möglich, dass es (wieder einmal) die Armen am härtesten trifft? Ja, das sind die Fragen, die mich umtreiben. Und meine Antwort darauf? Fehlanzeige. Für mich gibt es keine Antwort, die vor dieser Not standhalten könnte. Helfen können vielleicht die biblischen Erfahrungen des Leids des Hiob und der Klagepsalmen. Gott verschließt darin nicht seine Augen vor der Not, er bleibt gerade in diesen schwierigen Zeiten anrufbar, anklagbar. Und schließlich gibt es da noch als Rettungsanker die Hoffnung und Zuversicht: Gott wird uns, seine Geschöpfe, retten wie er einst das Volk Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit geführt hat und er wird uns aus der Umklammerung der Angst und Not lösen, wie er Jesus aus den Fesseln des Todes befreit hat.