10 Jahre Papst Franziskus
Wenn ich zum 10 jährigen Jubiläum der Wahl von Jose Mario Bergoglio zu Papst Franziskus diese Zeilen schreibe, dann nicht, um zu den Analysen, Bewertungen, Ein- und Ausblicken eine weitere hinzuzufügen. Vielmehr habe ich mich in den letzten Tagen gefragt, wie das bisherige Pontifikat von Papst Franziskus mein Denken und Wirken als Theologe geprägt hat und was sich dadurch für mich verändert hat.
Eingesperrt
Ich beginne nicht beim 13. März 2013, dem Tag der Wahl, sondern mit dem Tag, an dem ich Papst Franziskus, zwar aus großer Entfernung aber doch, das bislang einzige Mal live gesehen habe. Es war Sonntag, 1. September 2019. Mit meiner Familie und mehreren tausenden Pilgern, Touristen und Römern fand ich mich pünktlich um 12.00 Uhr am Petersplatz ein. Die Hitze war beinahe unerträglich und Schattenplätze waren nicht zu ergattern. Alle Blicke waren gebannt auf das Fenster hoch über uns gerichtet, das sich nun jederzeit öffnen müsste. Doch es blieb verschlossen. Minute um Minute verstrich. Auf dem Petersplatz machte sich eine Unruhe und gewisse Anspannung bemerkbar. War der Papst erkrankt oder war ihm gar etwas zugestoßen? Mit ca. 20 Minuten Verspätung öffnete sich dann das Fenster doch, der rote Teppich wurde ausgerollt und Papst Franziskus begann seine Ansprache. Zunächst entschuldigte er sich für seine Verspätung. Er war aufgrund eines technischen Gebrechens 25 Minuten im Aufzug eingesperrt und konnte erst durch die Feuerwehr aus dieser misslichen Lage befreit werden. Ich kann mich heute nicht mehr an den Inhalt der weiteren Ansprache erinnern. Das Bild des „eingesperrten Papstes“ beschäftigt mich aber bis heute.
Christus „freilassen“
Dieser persönliche Eindruck führt mich zu einer ersten theologischen Beobachtung, dabei bleibe ich beim Bild des Eingesperrt-seins. In den letzten Jahren bezog sich der Papst in Schreiben und in Ansprachen gerne auf folgende Zusage aus der Offenbarung des Johannes:
„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn einer meine Stimme hört und mir öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offb 3,20)
Der Papst entwickelt nun dieses biblische Bild weiter, wenn er formuliert: Christus klopft an die Türe unseres Herzens und möchte, dass wir ihn herauslassen, damit wir durch ihn in dieser Welt heilsam wirken können. Diese „Befreiung“ des in kirchlichen Normen und Strukturen „eingesperrten“ Christus, gehört für mich zu einem der wichtigsten theologischen Impulse des Papstes. Denn er führt dazu, nicht aus der Perspektive der Kirche den Glauben zu deuten, sondern von Christus her zu ergründen, welchen Auftrag Christinnen und Christen heute zu erfüllen haben. Diese Ausrichtung auf Christus kann sogar dazu führen, dass die Kirche verbeult wird und sich Schrammen und Macken zuzieht.
Der Glaubenssinn des Gottesvolkes
Wie lässt sich nun aber erkennen, was Christus von uns heute fordert? Die Suche danach, kommt, so der Papst, nicht zuerst oder gar alleine Kardinälen und Bischöfen zu. Dies ist Aufgabe aller getauften Männer und Frauen. Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen ist für den Papst das Bauprinzip der Kirche und der Weg der Wahrheitsfindung.
„Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von den Heiligen empfangen hat, kann im Glauben nicht irren.“ (LG 12)
Papst Franziskus ist der erste Papst, der dieses zentrale dogmatische Prinzip des 2. Vatikanischen Konzils nicht nur ins Zentrum seiner Verkündigung rückt, sondern praktisch werden lässt. Dies äußert sich darin, dass er zentrale Vorgänge synodal gestaltet und darin im wahrsten Sinn des Wortes, dieses „gemeinsame Gehen“ als Kirche-sein schlechthin begreift. Wenn es um die Zukunft der Kirche geht, reicht es nicht, nur diejenigen zu befragen, die theologisch, soziologisch oder philosophisch etwas Bedeutendes zu sagen haben. Alle Stimmen sind zu hören und zwar mit der Haltung, dass besonders die leisen und vermeintlich unbedeutenden Stimmen, Entscheidendes einbringen können.
Die Kunst der Unterscheidung
Synodale Prozesse sind oft mühsam, langwierig und bringen kaum spektakuläre Ergebnisse. So gibt es auf jede Position mindestens eine, meist gar mehrere, Gegenpositionen. Wenn alle Meinungen gehört und gewürdigt werden sollen, dann führt das zunächst zu Spannungen und manchmal zu Annäherungen. Erstarrt hier Kirche nicht in mehr oder weniger faulen Kompromissen? Braucht es für wirkliche Reformen nicht mutige Entscheidungen und zwar auch gegen den einen oder anderen Widerstand? Hier habe ich von Papst Franziskus gelernt, gegenüber solchen „Machtentscheiden“ skeptisch zu sein. Denn nicht selten sind die Folgen davon Spannung, Enttäuschung und Rückzug. „Ist dies aber nicht auch der Fall, wenn sich einfach nichts weitergeht und eine kleine Gruppe die Mehrheit ständig blockiert?“ fragen mich in letzter Zeit immer wieder Menschen, die sich um die Zukunft der Kirche sorgen. Papst Franziskus ist in diesem Prozess durch und durch Jesuit. Von seinem Ordensvater Ignatius von Loyola hat er die Regeln zur Unterscheidung der Geister gelernt. Diese besagen, dass eine Entscheidung dann „reif“ ist, wenn sich in einer Forderung nicht politischer Wille ausdrückt, sondern Christi Auftrag. Um ihn zu erkennen braucht es ein feines geistliches Sensorium und die Bereitschaft sich ständig selbst zu hinterfragen und von anderen korrigieren zu lassen.
Der Weg in die Zukunft
Ist Papst Franziskus mit seinen Anliegen gescheitert oder zumindest massiv gebremst worden? Nach einer euphorischen Atmosphäre zu Beginn des Pontifikates machen sich vermehrt Enttäuschung und Resignation breit. Widerstand von konservativ erhaltenden Kräften (dieser war immer schon stark) und von Gruppen, die sich eine massive Veränderung wünschen nimmt zu. An diesen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen und Prognosen über die Zukunft scheinen mir wenig sinnvoll. Vielmehr möchte ich am Ende dieses Beitrages auf das hinweisen, was mich theologisch am stärksten beschäftigt hat und noch weiter beschäftigen wird, nämlich: es geht für Papst Franziskus nicht um die Kirche, ihre Gestalt und Größe. Es geht ihm um dem Menschen, mit all dem, was ihn oder sie mit Freude erfüllt oder bedrückt. Diese Zuwendung zu den Menschen, der Papst würde präzisieren, besonders zu den Armen, Ausgestoßenen und an den Randgedrängten, ist der Weg der Kirche und möchte die Kirche herausführen aus einem Eingesperrt-sein und einem Kreisen um sich selbst. Dieser Weg beginnt wohl nicht mit Strukturreformen, sondern mit der Umkehr der Herzen.