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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Legt euer Selbstmitleid ab!

Abtprimas Notker Wolf im "Sonntag"-Gespräch über Barmherzigkeit

Der Abtprimas der Benediktiner über Wege zu Gott, Orientierungshilfen und Musik, die uns dabei beflügelt

Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner, über unkonventionelle Wege der Glaubensvermittlung (© Foto: katholisch.de)
Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner, über unkonventionelle Wege der Glaubensvermittlung (© Foto: katholisch.de)
Notker Wolf, der höchstrangige Benediktiner, besuchte St. Paul (© Foto: haab)
Notker Wolf, der höchstrangige Benediktiner, besuchte St. Paul (© Foto: haab)

Am 11. Juli feierte die Kirche den hl. Benedikt, Ihren Ordensgründer und Vater des abendländischen Mönchstums. Was schätzen Sie an ihm besonders?
P. Notker: Das Entscheidende an seinen Anweisungen für die Mönche ist, sich von Gott führen zu lassen. Gott weiß mehr, er kennt mich besser, deshalb lasse ich mir die Orientierung meines Lebens von Gott geben. Wie der Mensch durch Ungehorsam von Gott weggekommen ist, so soll er durch Gehorsam wieder zu Gott zurückfinden. Für Benedikt bedeutet das: Leben in Gemeinschaft unter Regel und Abt. Die Gemeinschaft ist das Erste. Aber sie braucht eine Regel, damit sie nicht auseinanderfällt, und eine Führungsperson: Das ist der Abt. Er steht an der Stelle Christi, der der eigentliche Abt des Klosters ist. Gehorsam ist für Benedikt nicht pyramidal zu sehen: Es geht um Gehorsam gegenüber dem Abt und auch den Brüdern.

Das heißt: Die Orientierung an Gott geschieht wesentlich durch Gemeinschaft und aufmerksames Aufeinander-Hören?
P. Notker: Benediktinischer Gehorsam ist ein Glaubensgehorsam. Und zwar der Glaube, dass Christus gegenwärtig ist durch seinen Geist. Das äußert sich durch den Abt, durch die Brüder – die Benediktregel hat ein eigenes Kapitel über den gegenseitigen Gehorsam –, also nicht nur vertikal, sondern auch horizontal.

Was hier für die Gemeinschaft des Klosters gilt – gilt das auch für die Gemeinschaft der Kirche?
P. Notker: Benedikt sagt im dritten Kapitel der Regel sinngemäß: „Wann immer etwas Wichtiges im Kloster ansteht, soll der Abt sämtliche Brüder zusammenrufen.“ Das hat nichts mit Ideologie oder Demokratisierung zu tun. Das ist der Glaube, dass Gott durch seinen Geist in der Gemeinschaft wohnt und sie führt. Nach der Gemeinschaft ist ein zweites starkes Element bei Benedikt das „rechte Maß“, die „discretio“, die rechte Unterscheidungsgabe, die er als Mutter aller Tugenden bezeichnet. Sie zieht sich durch die ganze Regel.

Was sagen Sie als Benediktiner, der die stabilitas loci – also in gewissem Sinn die „Sesshaftigkeit“ – gelobt hat, zum in Kärnten besonders ausgeprägten Trend des Pilgerns?
P. Notker: Ich habe ja ein Buch zum Pilgern geschrieben. Es ist die Gottsuche, die beides am deutlichsten verbindet. Diese ist nie fertig. Daher sind wir bis zu unserem Lebensende als Pilger unterwegs. Der ganze Jakobusweg wurde übrigens von Benediktinern aus Cluny eingerichtet. Die „stabilitas“ muss auch dem Evangelium entsprechen: Die Vögel haben ihre Nester, aber Jesus hatte keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegte. Deshalb haben die Mönche bewusst die Heimatlosigkeit Jesu übernommen und sind z. B. von England her auf den europäischen Kontinent übergesetzt, Bonifatius, Lioba, Virgil von Salzburg. Sie haben sich niedergelassen und Klöster gegründet – das war Pilgerschaft im Namen Christi. Insofern ist diese „stabilitas loci“ nicht wörtlich zu verstehen.

Wie kann man diese „stabilitas“ dann verstehen?
P. Notker: Entscheidend ist für uns nicht, möglichst viele Tage innerhalb bestimmter vier Mauern zuzubringen, sondern die innere Stabilität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft. Benediktiner treten nicht in einen Orden ein, sondern in ein bestimmtes Kloster, eine klösterliche Gemeinschaft. Wenn meine Zeit als Abtprimas abgelaufen ist, kehre ich wieder nach St. Ottilien zurück, das ist meine Heimat. Dann gibt es noch eine zweite „stabilitas“, die „stabilitas cordis“, die Stabilität des Herzens: ein festes Verankert-Sein in Gott. Das nehme ich überall hin mit.

Was ist die Botschaft des hl. Benedikt für uns heute?
P. Notker: Im Anderen Christus sehen. Gestern z. B. habe ich in Ingolstadt vor Filmmusik-Komponisten gesprochen. Ich habe ihnen gesagt: Versucht, die Menschen kennenzulernen, das Leben, die menschliche Existenz.Erst daraus könnt ihr wieder passende Musik schöpfen. Aber wer den Menschen kennenlernen will, muss ihn lieben.

Hinwendung zu den Armen, Hören auf andere, das Gemeinschaftliche: Finden wir nicht viel davon bei Papst Franziskus?
P. Notker: Dass ich diesen Papst noch erleben darf! Da geht es mir fast wie dem greisen Simeon im Lukasevangelium. Beim Papst sehe ich zwei Dinge: Erstens ist er ein ganz normaler Mann, der Gespür für das menschliche Leben hat und Gespür für Gemeinschaft. Und dann seine entwaffnende Ehrlichkeit, die aus dem Evangelium kommt. Manche fragen: Warum hat der Papst noch keine Strukturen verändert? Strukturen haben noch nie Leben erzeugt! Was wir brauchen, ist ein neuer Umgang miteinander. Papst Franziskus schüttelt keine Lösungen aus dem Ärmel: Wir müssen darüber reden, wie jetzt über Familienfragen. Da wird leicht auf oberflächliche Fragen reduziert: „Sind denn Schwulen-Ehen wirklich das höchste der Gefühle? Ist Conchita Wurst der Gipfel abendländischer Kultur? Müssen wir das alles wollen?“ Wie viel Intoleranz kommt in diesen Fragen durch! Die Intoleranz der „moralisch Korrekten“ ist fast wie eine moderne Inquisition, das ist kein Dialog.

Sie machen unkonventionelle Musik ... Wie gehen gregorianischer Choral und Rockmusik zusammen?
P. Notker: Ich habe meine Freude an der Musik, egal an welcher: Sie muss gut sein. Auch die Gregorianik ist nur dann gut, wenn sie gut gesungen wird. Der Choral muss leben, er muss musikalisch das ausdrücken, was er beschreibt, er darf nicht kastriert klingen. Das verbindet Choral und Rock: die Freude an der Musik, denn die Musik ist eine Gabe Gottes. Ich habe gestern wieder gestaunt, als wir für das Klinikum in Ingolstadt gespielt haben: Alle, die da waren, Ärzte, Pflegepersonal, Juristen, kannten „Highway to Hell“. Sie haben laut und auswendig mitgesungen. Wenn man doch unsere Kirchenlieder so gut könnte! Aber die sind oft lahm, begeistern nicht, reißen niemanden vom Hocker.

Weshalb finden junge Menschen Kirche so „unsexy“?
P. Notker: Vielleicht hat die Kirche Angst vor den Problemen der jungen Leute. Jugendliche und junge Erwachsene stellen unbequeme Fragen. Gerade auch, wenn es um Sexualität geht. Warum nehmen wir das so tragisch? Sie ist doch ein Geschenk Gottes! Und da erscheint gerade auf dem Boden der Sexualität die Kirche nur als eine Verbots-Institution. Mit so etwas möchte auch ich nichts zu tun haben. Ich habe gestern das Arbeitspapier zur Familiensynode gesehen, da kommt diese Frage auch stark ins Spiel: Kirche als Verbots-Institution. Damit kommt ja auch der Wert der Sexualität, die ja eigentlich die Verbindung von Menschen bedeutet, nicht durch – die Jungen schalten ab, suchen ihr Heil woanders. Die Kirche wird als Institution angesehen, nicht als Ort des Glaubens und der Hoffnung.

Was möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern besonders ans Herz legen?
P. Notker: Dass sie weniger Mitleid mit sich selbst haben sollen als mit den anderen. Wir haben in unserer Gesellschaft zu viel Selbstmitleid. Man kann das nicht erzwingen, aber man muss sich bewusst werden, dass man gar nicht so wichtig ist, wie man meint. Wichtig sind wir vor Gott, der nimmt uns ernst und mag uns. Und damit bin ich auch wichtig für andere. Aber die Unentbehrlichen liegen bei uns alle auf dem Friedhof, und es geht trotzdem weiter. Dann bekommt man ein anderes Verhältnis zu den Menschen: die Menschen mit den Augen Gottes zu sehen. „Seid barmherzig!“, sagt der Papst immer, das ist die Botschaft Gottes. Die Liebe zum Menschen zeigt sich zunächst einmal in der Barmherzigkeit.