Ich werde immer ein Kärntner bleiben
Der Architekt, Schriftsteller und bildende Künstler Rainer Reinisch lebt in Braunau. Janko Ferk sprach mit ihm.
Wir reden in Braunau miteinander. Die deutsche Sprache hat einen schweren Ausdruck: Geburtsstadttrauma. Was fällt Dir zu diesem Begriff ein?
Reinisch: Der Umstand, dass Hitler hier geboren wurde und mit zwei Jahren wieder weggekommen ist, ist für die Stadt eine massive Stigmatisierung. Die Menschen, die hier leben, leiden darunter. Dieses Leiden baut sich im Laufe der Zeit ab, insbesondere dadurch, dass es in Braunau die Zeitgeschichte-Tage gibt, die sich mit diesen Themen auseinander setzen.
Glaubst Du, dass das so genannte offizielle Braunau mit dieser Frage richtig umgeht?
Reinisch: Das offizielle Braunau hat eine ganz wichtige Tat gesetzt. Es hat vor das Geburtshaus Hitlers einen Mahnstein gestellt. Einen Granitstein aus dem KZ Mauthausen mit einer Aufschrift, die die Meinung der Stadt dokumentiert:
FÜR FRIEDEN, FREIHEIT UND DEMOKRATIE
NIE WIEDER FASCHISMUS
MILLIONEN TOTE MAHNEN
Das ist die Botschaft der Stadt, die jeder, der nach Braunau kommt und das Hitlerhaus sehen will, serviert bekommt.
Gehen wir zu einer anderen Geburtsstadt, zu Deiner, nach Ferlach/Borovlje. Friedrich Torberg hat, als er in US-amerikanischer Emigration leben musste, ein sehr bekanntes Gedicht geschrieben: „Sehnsucht nach Altaussee“. Hast Du Sehnsucht nach Deiner ursprünglichen Heimat?
Reinisch: Sie verschwindet nie. Es ist keine Sehnsucht, sondern eine Prägung: Die Landschaft, die Menschen, insbesondere die Eltern, haben mich geprägt, haben mich zu einem Kärntner gemacht, und ich werde immer ein Kärntner bleiben.
Wie bleibt man Kärntner?
Reinisch: Es ist ein unglaublicher Unterschied in der Mentalität der Menschen. Um den Innviertler zu beschreiben: Er ist ein strenger, grundehrlicher, gerader Michl. Der Kärntner ist viel zu weich, er ist viel zu wendig. Das sind auch durchaus positive Eigenschaften, diese Wendigkeit, diese Offenheit und Leichtfertigkeit. Nur ist das zum Innviertler ein gegensätzliches Programm. Als Kärntner wird man diesen großen Unterschied immer empfinden.
Ich habe es sehr positiv empfunden, weil ich in meinem Beruf als Stadtbaudirektor sehr offenen und korrekten Menschen gegenübergestanden bin. Es hat nie Korruption gegeben, nie Angebote, die nicht korrekt waren.
Du hast einen interessanten Lebensweg. Du warst bei Meister Gustav Peichl, dem allseits bekannten Ironimus, als Architekt tätig, und bist vierzig Jahre in Braunau am Inn beheimatet. Würdest Du, wenn Du Dein Leben betrachtest, den Lebensplan anders ansetzen wollen oder bist Du mit Deinem Lebensentwurf zufrieden?
Reinisch: Ein Lebensentwurf wird nicht gemacht, sondern ergibt sich. Meiner hat sich eben so ergeben, dass ich von meinem Traum, selbstständiger und berühmter Architekt zu werden, abgegangen worden bin.
Ich bin nicht der Ansicht, dass ein Lebensentwurf nur schicksalhaft sein kann. Ich kann ihn beeinflussen ...
Reinisch: Natürlich, man stellt sich eine Linie vor – man fährt dann aber eine ganz andere. Und es gibt äußere Einflüsse. Als ich nach Braunau kam, hatte ich das Glück, in der Beamtenhierarchie gleich an oberster Stelle einzusteigen.
Du bist nicht nur Architekt, sondern ein multipler und talentierter Mensch.
Reinisch: Kreativität ist eine Geißel. Es ist mühsam, mit dieser Geißel zu leben. Ich habe diese Kreativität in meinem Leben – so gut es ging – ausgelebt. Das ist erstens die Schriftstellerei, beginnend mit reiner fachjournalistischer Tätigkeit in der „Wiener Zeitung“ über Architektur. Zweitens war ich als Architekt immer ein Zeichner und bin in die freie Kunst hineingewachsen. Heute bin ich bei der Collage und den Ready Mades. Ich verwende Material, das man im Supermarkt oder am Müllplatz findet, stelle es in die Galerie und mache es zur Kunst. Jetzt aktuell stelle ich in Braunau aus. Drittens fotografiere ich.
Du hast auch ganz klassisch gearbeitet, beispielsweise Ölbilder gemalt.
Reinisch: Ich habe eine Entwicklung durchgemacht. Ich habe die ersten Ausstellungen in Klagenfurt besucht, Anton Mahringer beispielsweise, und mir sind durch den Kontakt mit dem Künstlerhaus die Augen geöffnet worden.
Kannst Du etwas über Deine Bücher sagen, schließlich hast Du einiges veröffentlicht?
Reinisch: Ich erzähle einerseits gern und launisch und vielleicht intellektuell. Andererseits beschäftige ich mich mit Philosophie, und zwar mit dem Phänomen, dass der Mensch sehr schnell an die Grenzen seiner Erkenntnis stößt. Wo immer er forscht und glaubt, einen Schritt weiterzukommen, ist er sehr rasch an der Grenze des Fassbaren. Ob im Weltall oder beim Atom …
Du hast mehrere Künste verbunden. Bist Du glücklich geworden?
Reinisch: Ich bin ein durch und durch glücklicher Mensch.
Kann ein Mensch nur dann Künstler sein, wenn er unglücklich ist? Oder muss er, im Gegenteil, zufrieden und glücklich sein?
Reinisch: Das ist nicht Voraussetzung. Es kann eine Melancholie unglaublich kreativ wirksam werden und sein. Es kann uns dann und wann aber das persönliche Glück von der Kunst wegführen, weil man nur sein Glück ausleben will.
Die Zufriedenheit könnte einen auch zur Kunst hinführen?
Reinisch: Natürlich. Der kreative Mensch wird immer Kunst produzieren, sei er nun melancholisch oder glücklich.
Danke für das Gespräch!