Jeder ist verschieden
Inklusion in Pfarrgemeinde und Pfarrgemeinderat: Vielfalt als Bereicherung und Belebung der Pfarre
Mit der näherkommenden Pfarrgemeinderatswahl machen sich viele, wie üblich und Gott sei Dank, wieder Gedanken über die Vielfalt und Buntheit der Pfarren. Denn der ideale Pfarrgemeinderat spiegelt ja die Alters-, Geschlechts- und Milieuvielfalt der Pfarre wider, eint sie in konstruktivem Austausch und macht so die Verschiedenheit für das Leben der Pfarre fruchtbar.
Nun ist es aber so – Sie werden mir wahrscheinlich zustimmen –, dass dabei regelmäßig eine Gruppe übersehen wird. Oder haben Sie in Ihrem Pfarrgemeinderat einen Mann, eine Frau, eine/n Jugendliche/n mit einer Behinderung? Dabei wird dieser Teil der Bevölkerung zahlenmäßig weit unterschätzt: An die 20 % gehören laut Statistik Austria dazu – auch in Ihrer Pfarre. Wollen Sie diese wirklich unberücksichtigt lassen?
Zugegeben, die Gruppe der „Behinderten“ ist unhomogen: Sie reicht von meiner schwerhörigen Tante, die die Predigt des Pfarrer nicht mehr versteht, über Herrn Müller, der seit seinem Autounfall im Rollstuhl sitzt und deshalb nicht mehr in die Kirche kommt, bis zu Melanie, die das Downsyndrom hat und vielleicht deshalb nicht zur Firmvorbereitung eingeladen wurde.
Beginnen wir mit der Wortwahl: Wenn wir sagen „der/die Behinderte“, dann ist das ungefähr so, wie wenn der Krankenhausarzt vom „Blinddarm auf Zimmer 115“ redet. Beide Male wird der Mensch auf das reduziert, was sein Problem ist. Und das ist verletzend. Eine Frau (ich glaube, es war die engagierte Tirolerin Marianne Hengl) hat das so auf den Punkt gebracht: „Ich bin keine ‚Behinderte’. Ich bin ein ‚Mensch mit einer Behinderung’: Zuerst bin ich Mensch, und erst in zweiter Linie habe ich eine Behinderung.“ Und umgekehrt: Das mit den „Normalen“ ist auch so eine Sache. Was ist normal, und wer definiert, was und wer normal ist? Jesus würde an dieser Stelle vielleicht sagen: „Wer ‚normal’ ist, werfe den ersten Stein.“ Und wenn wir ehrlich sind, müssten wir wie damals die Männer im Evangelium der Reihe nach unsere Vorurteile niederlegen und beschämt weggehen.
Wie diese Frau dafür plädiert, an erster Stelle den Menschen zu sehen, sollten wir als Glaubende an erster Stelle den von Gott geschaffenen Menschen sehen: Ein Mensch mit einer Behinderung ist Gottes Geschöpf wie wir. Auch er ist Gottes Ebenbild: Schauen wir genau hin, und wir werden in ihm Gott entdecken, der Mensch geworden ist, weil er uns liebt und unsere Liebe zu ihm wecken will. Gerade in den Menschen, die in unseren Augen „arm“ sind, werden wir ihn zuerst finden, sagt die Bibel. Und Papst Franziskus wird nicht müde, das zu unterstreichen.
- Aber … wissen das die Menschen in unserer Pfarre? Zeigen wir es ihnen? Lassen wir sie durch das Leben unserer Pfarre spüren, dass sie geliebte Kinder Gottes sind? Konkret könnte das bedeuten:
- Wissen die, die schwerhörig geworden sind, dass der Pfarrer ihnen zuliebe deutlich spricht?
- Wurden ihre Bedürfnisse bei der Wahl der Lautsprecheranlage berücksichtigt?
- Gibt es zusätzlich eine Induktionsschleife, die den Hörgeräte-TrägerInnen ein Hören ohne störende Nebengeräusche ermöglicht?
- Ist der Liedanzeiger so gestaltet, dass sehbeeinträchtigte Menschen die Lieder mitsingen können?
- Ermöglichen barrierefreie Zugänge Menschen mit einer Beeinträchtigung der Mobilität, in Kirche, Pfarrsaal und Pfarrhaus zu gelangen – Rollstuhlfahrer, Menschen mit Rollator oder Stock und ebenso Familien mit Kinderwagen?
- Wissen die Menschen in Ihrer Pfarre, dass sie auch mit ihren Beeinträchtigungen willkommen sind? Können sie es von weitem sehen (eine verschämt-versteckte Rampe beim Hintereingang ist nicht das gleiche wie ein barrierefreier Haupteingang)? Spüren sie es an der Atmosphäre, fühlen sie sich eingeladen?
- Weitere Anregungen finden Sie in der kleinen Broschüre „Inklusion“, die in der Kontaktstelle kostenlos erhältlich ist (gedruckt und als Download).
„Wir sind da zum Arbeiten, wir haben doch keine Zeit für … !“, lautet vielleicht das erste Gegenargumebt. – Ja, es könnte sein, dass man einander ausreden lassen muss, wenn ein Hörgeräteträger im PGR ist, sonst versteht er nur Lärm. Aber profitieren davon nicht alle? Ist ein blinder Mensch dabei, so ist es nötig zu lernen, was er braucht, um voll dabei sein zu können. Das schadet den Arbeitsabläufen nur auf den ersten Blick; in Wirklichkeit wird es unsere Sinne schärfen für einen sensibleren Umgang aller miteinander. Und wenn die Eltern eines Kindes mit Downsyndrom bewusst in den Pfarrgemeinderat hereingenommen werden, öffnet uns das vielleicht neu den Blick für das Leben von Menschen, die von den Bauherren verworfen wurden, aber für Gott Ecksteine sind (vgl. Mt. 21,42). Weil sie wie Propheten darauf hinweisen, dass der Mensch nicht nur allein von Leistung lebt, sondern auch Liebe braucht.
Normal ist, dass menschliches Leben vielfältig und bunt ist wie die Blumen in der Natur. Und es sollte normal sein, dass sich die Verschiedenheit menschlichen Lebens – auch mit dem normalen Anteil an Menschen mit einer Behinderung – im Leben der Pfarre und auch im Pfarrgemeinderat wiederfindet. Oder hat Jesus etwa nur die Besten und Stärksten in die Schar seiner Jünger und Apostel aufgenommen? Dann wären wir selbst vielleicht nicht dabei …
Broschüre "Inklusion":
Post: Kontaktstelle „Seelsorge für Menschen mit Behinderung“
Tarviser Straße 30
9020 Klagenfurt
Tel.: 0463/5877-21 28
Mail: georg.haab@kath-kirche-kaernten.at