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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Befreiender Glaube

Der Wiener Arzt und Moraltheologe Matthias Beck im Gespräch mit Stefan Kronthaler

Foto: Stefan Kronthaler
Foto: Stefan Kronthaler

Moraltheologen wurde früher oft vorgeworfen, viel zu viel über Verbote und Gebote zu sprechen. Der Wiener Moraltheologe Matthias Beck zeigt in seinem jüngsten Buch („Was uns frei macht. Für eine Spiritualität der Entfaltung“), warum die Freiheit und die Barmherzigkeit die Bausteine für ein gelingendes Leben sind. Zum Modestusfest am 23.-25. November referiert er in Maria Saal zu diesem Thema und weshalb das Christentum kein Auslaufmodell ist.

Was unterscheidet Ihr neues Buch von einer sogenannten „kalten Schreibtischmoral“, wie sie Papst Franziskus beklagt?
Beck: Mein Buch kommt direkt aus dem Leben. Mich hat immer geärgert, dass das Befreiende der Ethik zu wenig zu Wort kommt. Wir haben oft negative Aussagen: Du sollst das nicht tun, du sollst jenes nicht tun. Die Frage ist: Was sollen wir positiv tun? Wir sollen Frucht bringen, wir sollen mehr Frucht bringen; wir sollen vollkommen sein, wir sollen aus fünf Talenten zehn machen.

Wie konnte es passieren, dass das Christentum als Religion der Freiheit in den Augen vieler Zeitgenossen zu einer Religion der Verbote mutiert ist?
Beck: Ich vermute, dass im Zusammenhang mit der Entdeckung neuer Kontinente die Kirche versucht hat, alle neuen Völker „einzusammeln“. Es entstand das Völkerrecht, und das ist gut. Aber es entstand auch eine zunehmende Verrechtlichung der Kirche. An die Stelle von Spiritualität sind das Recht und die Moral getreten. Heute müssen wir die Spiritualität des Christentums neu entdecken, vielleicht sogar über den Umweg der Religionen Asiens. Das Christentum ist ja eine zutiefst spirituelle Religion und eine Beziehungsreligion.

Sie verlangen einen richtigen Umgang mit der Freiheit. Haben wir diesen Umgang in unserer Kirche auch gelernt?
Beck: Vielleicht zu wenig. Als ich ins Priesterseminar eingetreten bin, fragte mich unser Kardinal: Was willst du von der Kirche? Und ich sagte spontan nach Schiller: „Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire.“ Uns haben oft Räume gefehlt, wo alles ausgesprochen werden kann. Wir haben in der Päpstlichen „Akademie für das Leben“ in Rom auch jüdische Mitglieder, einen Muslim und einen anglikanischen Priester. Was gut daran ist: Alles muss diskutiert werden. Wenn es Gedankenverbote gibt, geht die Kultur kaputt. An diesem Punkt sind wir.

Wenn es Gedankenverbote gibt, geht die Kultur kaputt. An diesem Punkt sind wir.

Sie zitieren auffällig oft in Ihrem Buch die biblische Bildrede vom Weinstock und den Reben, vom „Bleiben“ und dass Maria „das Bessere“ gewählt hat. Wie lässt sich das kurz erklären?
Beck: Wir haben in der Theologischen Ethik oft nur zwischen „gut“ und „schlecht“, zwischen „gut“ und „böse“ unterschieden. Christliche Ethik bzw. Spiritualität redet sehr oft von „gut“ und „besser“. Franz von Assisi kam aus einem reichen Elternhaus, und es wäre gut gewesen, wenn er das Geschäft seines Vaters übernommen hätte. Er spürte aber einen Ruf, alles zu verlassen. Dem ist er gefolgt, das war das Bessere für ihn. „Besser“ meint, dass er besser seinen Frieden fand und damit besser den göttlichen Willen umgesetzt hat. „Gut“ ist also nicht „gut genug“. Auch im geistlichen Bereich gilt: Der Mensch strebt nach immer mehr und das ist gut. Gott will, dass wir aus fünf Talenten zehn machen. Und etwas hinzugewinnen, was wir bisher noch nicht hatten.

Warum ist die Barmherzigkeit, wie Sie schreiben, der zentrale Inhalt der christlichen Botschaft?
Beck: Weil Jesus sie uns vorgelebt hat und weil das Neue Testament voll ist von diesen Worten. Wir sind keine Gesetzesreligion, sondern eine Religion, die immer auch das Scheitern des Menschen einbezieht und ihn wieder aufrichtet und ihn neu beginnen lässt. Jesus selbst hat barmherzig gehandelt. Mit ihm wurden zwei Mörder gekreuzigt, einer davon ist gleichsam der erste Heilige, denn Jesus sagt zu ihm: „Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Die Möglichkeit des Neuanfangs, der Vergebung, die Barmherzigkeit Gottes ist zentral für das Christentum.

Warum ist das „Frucht-Bringen“ so etwas wie der rote Faden durch Ihr Buch?
Beck: Ich komme vom Land und habe von Kindheit an immer die Natur beobachtet. Mich hat immer fasziniert, dass vieles von selbst wächst. Das ist ein göttliches Prinzip: Der Grashalm wächst von selbst, wir Menschen können keine Grashalme bauen, Maschinen schon. Das Phänomen des Wachsens hat mich immer fasziniert. Im Herbst reifen die Früchte. Und dann habe ich gesehen, dass das, was in der Natur passiert, auch vom Menschen gefordert ist. Das ist wie eine ethische Forderung: Du sollst Frucht bringen, du sollst das, was in dir angelegt ist, zur Entfaltung bringen. Und das bringt Freude, das ist der entscheidende Punkt. Gott will, dass der Mensch strahlt, entfaltet ist, wenn es geht. Es geht aber nicht immer.

Glauben wir noch, dass Gott oder der Teufel auch heute am Werk sind?
Beck: Mehr denn je. Wir müssen nur lernen, das zu interpretieren. Wir brauchen eine Lese-Schule, die nennen wir Exerzitien. Übungen, dass wir verstehen lernen, was in uns vorgeht, um die Geister zu unterscheiden. Wo will Gott, dass ich seinem Willen folge? Wo kommt mir mein Egoismus dazwischen? Wo gibt es auch die Stimme der Verführung, der Zerstreuung, die mich aus meiner Mitte herausbringen will? Ich halte diese Frage für die zentrale Frage des Christentums im 21. Jahrhundert: die Menschen diese Unterscheidung der Geister zu lehren.

Veranstaltungstipp:

Vortrag mit Univ.-Prof. Dr. med. Dr. theol. Matthias Beck: Ist das Christsein ein Auslaufmodell!?
Fr., 23. Nov. 2018, 19.30 Uhr, Maria Saal, Haus der Begegnung (Domplatz).

Festgottesdienst zum Modestusfest mit DDr. Matthias Beck als Hauptzelebrant und Festprediger: So., 25. Nov. 2018, 10 Uhr, Dom zu Maria Saal